Seit April sinken die Anleiherenditen, und die Renditekurven in den Industrieländern haben sich abgeflacht. Die 10-jährige US-Rendite fiel von ihrem Höchststand bei 1,74 % auf zuletzt unter 1,20 %. Die Hauptursachen für den Renditerückgang sind die Besorgnis über den Höhepunkt des globalen Wirtschaftswachstums und die Angst vor der neuen Delta-Virusvariante, während die Zentralbanken den vorübergehenden Charakter der Inflation immer noch als Basisszenario betrachten. Infolgedessen besteht die Befürchtung, dass auf die kürzeste Rezession der Geschichte die kürzeste Expansion der Geschichte folgen könnte. Dies würde den Zeitrahmen der FED für eine Straffung der Geldpolitik einengen, was einen flacheren Zinspfad und einen niedrigeren Endzinssatz bedeuten würde. Infolgedessen flachte sich die US-Renditekurve aggressiv ab, angetrieben durch den mittleren Laufzeitenbereich. Aufgrund dieser Umstände hat der Value-Stil in den letzten Monaten seine Pole-Position an den Growth-Stil abgegeben.
Lassen Sie uns in Anlehnung an das Zitat „Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich oft“ auf das Jahr 2004 zurückblicken. Die erste Hälfte jenes Jahres erinnert uns an die Situation, in der wir uns derzeit befinden. Nach einer starken Rallye, die von zyklischen Werten angeführt wurde, und einem kräftigen Aufschwung der Wirtschaft gab es eine Phase der Seitwärtsbewegung an den Märkten und eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums. Nach dieser Periode erlebten zyklische und Substanzwerte eine weitere Phase starker Performance, die durch ein dynamisches Wirtschaftswachstum unterstützt wurde. Wir glauben, dass dies das wahrscheinlichste Szenario mit Blick nach vorne ist.
Beginnen wir mit dem Makrobild und gehen dann auf den Bewertungsaspekt ein. Im Allgemeinen sind die größten Treiber für Value ein starkes wirtschaftliches Umfeld und steigende Renditen. Obwohl die Covid-Delta-Variante zu den Wachstumssorgen beigetragen hat, dürften die Auswirkungen dieser Virusvariante die Wirtschaft nicht nach unten ziehen, solange die Krankenhausaufenthalte und Todesfälle relativ niedrig bleiben. Das Wachstum hat höchstwahrscheinlich seinen Höhepunkt erreicht, allerdings auf einem Niveau, das selten zuvor erreicht wurde. Man kann argumentieren, dass das Wachstum mittelfristig hoch bleiben könnte, was für Value-Aktien unterstützend wirkt. Um die Outperformance von Value-Aktien auszulösen, müssen die Renditen steigen, insbesondere die Rendite der 10-jährigen US-Staatsanleihen. Die Renditen wirken wie Schwerkraft auf die Preise von Vermögenswerten. Höhere Anleiherenditen begünstigen Value- gegenüber Growth-Aktien, da einige der hoch bewerteten Growth-Titel auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt werden. Einer der Katalysatoren für diese Bewertungsanpassung wären anhaltend gute Beschäftigungszahlen in den USA, die die Rendite 10-jähriger US-Staatsanleihen in Richtung höherer Niveaus bewegen würden. Die FED konzentriert sich stark auf das Thema Beschäftigung bei ihren Entscheidungen über das Tapering und - längerfristig - eine Anhebung des Leitzinses. Wir glauben, dass die Wahrscheinlichkeit höherer Renditen aufgrund dieser Kombination aus stärkerem Wachstum, einem stärkeren Arbeitsmarkt und höherer Inflation hoch ist.
Was die Bewertungen anbelangt, so hat sich der Abstand zwischen Value und Growth bis April aufgrund einer sehr starken Performance des Value-Stils verringert. Nach der jüngsten Outperformance der Wachstumswerte hat sich diese Bewertungslücke wieder deutlich ausgeweitet, vergleichbar mit der Situation Ende letzten Jahres. Wie wichtig die 10-Jahres-US-Rendite für Value ist, zeigt sich erneut an der Tatsache, dass dieser Stil unterdurchschnittlich abgeschnitten hat, obwohl Value-Unternehmen im laufenden Quartal höhere Gewinne meldeten als ihre Pendants aus dem Growth-Segment. Wir glauben, dass diese große Bewertungslücke denjenigen Anlegern, die die erste Etappe der Value-Rallye verpasst haben, eine neue Gelegenheit bietet, auf den Value-Zug aufzuspringen.
Arne Kerst, Fondsmanager bei DPAM